Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sorgt unser Netzwerk für Kontakte zwischen Betrieben und Jugendlichen in unserer Region. Doch um die jungen Menschen hier zu halten, benötigen sie nicht nur eine Arbeitsstelle – sie wollen auch wohnen. Besonders im Landkreis gestaltet sich das schwierig, weiß Silvia Müller, die für das Fachgebiet Jugend und Übergänge im Amt Strategische Sozialplanung beim Landkreis Cuxhaven zuständig ist. Sie gibt uns einen Einblick in die Herausforderungen, die Projekte und den Wohnführerschein.
Arbeit ist leichter zu finden als eine Wohnung
„Man findet Wohnungen im Landkreis, aber oft in Regionen ohne Bus- und Bahnanbindung. Das bedeutet bis zu 20 Kilometer pro Tag auf dem Fahrrad, um zur Ausbildung, zur Arbeit oder zu Freizeitangeboten hin und zurück zu kommen“, berichtet Silvia Müller. Auch könne man dort Wohnungen finden, wo die Menschen lieber weg- statt hinziehen möchten. „Einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz findet man deutlich schneller. Es gibt genug Stellen“, weiß sie. Ohne Wohnraum wird es auch schwieriger werden, die Stellen zu besetzen, denn einige junge Menschen wandern bereits jetzt wegen des fehlenden Wohnraumes ab. „Soweit wir das mitbekommen, verlassen die jungen Menschen den Landkreis Cuxhaven, bleiben aber in der Nähe“, sagt Silvia Müller. Denn es zieht gar nicht alle in die weite Welt hinaus, wie man annehmen könnte.
Wohnprojekte
Der Wohnraum wird nicht nur im Landkreis knapp, sondern auch in der Stadt Cuxhaven wird es immer schwieriger. Dazu kommt noch ein weiteres Problem: Es fehlt auch an betreuten Wohnformen, in denen junge Menschen die Schritte ins Erwachsenenleben in Begleitung von Sozialarbeitern und anderen Helfern gehen und mit Unterstützung eine Tagesstruktur erlernen können, die sie für eine Arbeitsstelle benötigen.
Im Mai 2019 ging ein erstes Wohnprojekt in Cadenberge als Pilotprojekt der Jugendberufsagentur (JBA) in die Umsetzung. Der Landkreis mietete eine Wohnung an, in der die Möglichkeit bestand, vier bis fünf junge Menschen über Nutzungsverträge in möblierten Zimmern unterzubringen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren. Betreut wurden sie von der JBA am Standort Cadenberge. Da es hier jedoch noch engere Betreuungsformen hätte geben müssen, kam es zu einigen Schwierigkeiten im Bereich des Zusammenlebens, die eine Weiterführung des Projektes nach einem Jahr nicht mehr zuließen.
Im August 2019 wurde im Stadtgebiet Cuxhaven ein weiteres Wohnprojekt umgesetzt, welches ebenfalls Platz für vier bis fünf junge Menschen bietet. Der Unterschied zu Cadenberge besteht jedoch darin, dass die jungen Menschen selber Mieter sind und einen entsprechenden Vertrag mit einem privaten Vermieter abschließen. Zusätzlich wird ein Betreuungsvertrag mit der JBA geschlossen. Die Kosten für ein WG-Zimmer werden von der JBA übernommen.
2021 und 2022 kamen zwei weitere Wohnprojekte in Hemmoor hinzu, die in Kooperation mit dem Paritätischen, dem Jobcenter und dem LK umgesetzt werden. Bei diesem Konzept ist der Paritätische Hauptmieter. Untergebracht werden hier Jugendliche, die eine Jugendwerkstatt besuchen, wodurch gleichzeitig eine Betreuung sichergestellt wird.
Plötzlich erwachsen
Die erste eigene Wohnung ist für viele junge Menschen eine Herausforderung, denn plötzlich gilt es vieles alleine zu gestalten und dabei den Überblick zu behalten: Wie teilt man sich das Geld so ein, dass es bis zum Monatsende reicht? Welche Ecken müssen geputzt werden und wie oft? Wie sorgt man dafür, dass die Kosten für den Strom nicht explodieren? Wie richtet man die Wohnung überhaupt ein? Kurz: Wie führt man einen Haushalt? Sowohl am Standort Cuxhaven als auch in Hemmoor konnten bereits Kunden der JBA an einem neuen Projekt der JBA teilnehmen: dem Wohnführerschein.
Idee: Wohnführerschein
Im Verlauf einer Woche erfahren junge Menschen von Experten, was es mit einem Mietvertrag auf sich hat und wie man energiesparend lebt; die Schuldnerberatung gibt Ratschläge zum Umgang mit Geld und eine Wohnungsgenossenschaft wie „Die Siedlung“ in Cuxhaven führt durch eine leerstehende Wohnung, in der einigen Teilnehmern erst richtig bewusst wird, dass diese erst einmal eingerichtet werden muss, wenn man dort wohnen will. Die ersten Veranstaltungen in der Stadt Cuxhaven und in der Stadt Hemmoor fanden großen Anklang. Die Jugendlichen fühlten sich unterstützt und auf das Leben als Mieter vorbereitet. „Wir möchten das gerne noch mit den Schulen verknüpfen und den ganzen Landkreis erreichen“, berichtet Silvia Müller.
Zum Abschluss der Woche gibt es eine kleine Prüfung und ein Zertifikat, das einem vielleicht einen Pluspunkt bei der Wohnungssuche einbringt: Der zukünftige Vermieter weiß nun, dass sich der Bewerber um die Wohnung mit dem Thema auseinandergesetzt hat und die Grundlagen kennt. Denn auch Vermieter mussten schon unliebsame Überraschungen hinnehmen, wenn der erste Versuch des Alleinlebens scheiterte. Vielleicht kann der Wohnführerschein auch einen negativen Schufa-Eintrag ausgleichen, sodass der junge Mensch eine neue Chance erhält, sein Leben zu meistern. Doch auch der Wohnführerschein hilft nicht, wenn es keine Wohnungen gibt.
„Jetzt muss was passieren!“
Silvia Müller äußert ihre Gedanken zum Wohnraummangel deutlich: „Es reicht nicht, das nur festzustellen. Wie gehen wir damit um? Wir müssen uns etwas einfallen lassen!“. Für die jungen Menschen ist es ein Teufelskreis: „Wer keine Wohnung hat, findet schwer Arbeit – und wer keine Arbeit hat, schwer eine Wohnung.“
Auch unserem Netzwerk ist wichtig, dass Wohnraum für junge Menschen geschaffen wird. Denn die Verknüpfung von jungen Menschen und den Betrieben in unserer Region kann nur gelingen, wenn die Fachkräfte von morgen hier einen Platz zum Wohnen und Leben finden.
Text Janina Berger, Fotos Landkreis Cuxhaven